His­to­ri­scher Wahl­sieg für Selen­skyjs Partei

Am Sonntag gewann die Partei des Prä­si­den­ten „Diener des Volkes“ die Par­la­ments­wah­len deut­lich. Mit vor­aus­sicht­lich über 240 Abge­ord­ne­ten verfügt Prä­si­dent Selen­skyj über eine abso­lute Mehr­heit im Par­la­ment. Er kann damit ohne Koali­ti­ons­part­ner regie­ren. Was bedeu­tet das für die Ukraine? Ein Kom­men­tar von Marie­luise Beck

Die Ukraine hat gewählt. Die „Diener des Volkes“ haben abge­räumt. Das poli­ti­sche Estab­lish­ment wurde nach Hause geschickt. Dar­un­ter viele Ban­di­ten – aber auch erfah­rene und ehren­werte Leute. Selbst jene, die den Anstoß für die Revo­lu­tion der Würde gaben, werden in der nächs­ten Rada nicht mehr ver­tre­ten sein. Und eine vor vier Jahren noch neue, schein­bar unver­brauchte Kraft wie Samo­po­mit­sch ist nur noch im Null-Komma Bereich zu finden.

So wie Prä­si­dent Selen­skyj noch nicht erken­nen lässt, wer er ist und wohin er will, so gilt das nun auch für die Rada. Die „Diener des Volkes“ ver­fehl­ten zwar die abso­lute Mehr­heit bei der Wahl nach Par­tei­lis­ten. Die direkt gewähl­ten Abge­ord­ne­ten ermög­li­chen Selen­skyj jedoch eine Allein­re­gie­rung. Bei den Direkt­wah­len in den Wahl­krei­sen haben seine Kan­di­da­ten – alle­samt New­co­mer – noch stärker abge­räumt als bei der Lis­ten­wahl. Der Wunsch nach Erneue­rung ist über­wäl­ti­gend. Eine abso­lute Mehr­heit gibt Selen­skyj viel freie Hand. Es bleibt zu hoffen, dass diese Macht in einem poli­ti­schen System ohne starke Checks and Balan­ces sorgsam genutzt wird.

Was können wir heute über diese Wahl sagen?

Nur etwa die Hälfte der ukrai­ni­schen Wahl­be­rech­tig­ten ging zur Urne. Zu oft sind sie seit dem Fall der Sowjet­union auf­ge­bro­chen und doch wieder ent­täuscht worden. Aber wie schon die Prä­si­den­ten­wahl im März bzw. April war auch dieser Urnen­gang eine deut­li­che Abfuhr für die poli­ti­schen Eliten, die wie Poro­schenko mit einem großen Ver­trau­ens­vor­schuss gestar­tet waren und nicht „gelie­fert“ haben.

Die wirt­schaft­li­che Lage ist schlecht, darüber kann auch das glit­zernde Kyjiwer Zentrum nicht hin­weg­täu­schen. Das big game der Olig­ar­chen ging weiter und es war unklar, wie weit der alte Prä­si­dent auf diesem Feld mit­mischte. Sein Gene­ral­staats­an­walt jeden­falls war kein Garant für den Kampf gegen die Kor­rup­tion. Der Krieg im Osten geht weiter, fast täglich gibt es weitere Tote und Ver­wun­dete.  Dennoch ist erstaun­lich, dass Poro­schen­kos Partei nur knapp 8,5 Prozent der Stimmen erhielt : er hat das Land auf Kurs gen Westen gehal­ten, er war ein solider Partner für EU und  den inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds, und die Been­di­gung des Krieges ist eine „mission impos­si­ble“, solange sie vom Kreml nicht gewollt wird. Eine pro­spe­rie­rende Ukraine ist für Putin ein Albtraum.

Der oppo­si­tio­nelle Block, das Sprach­rohr des Kremls, wird ent­täuscht sein. Knapp 13 Prozent ist ein Absturz gegen­über der letzten Rada­wahl. Medwet­schuk mag sich die Frage stellen, ob der osten­ta­tive, öffent­lich zele­brierte Schul­ter­schluss mit Putin wirk­lich eine gute Idee war. Am stärks­ten wurde die Partei im Osten der Ukraine gewählt, dort ist das Ver­trauen in „Kyjiw“ offen­bar am gerings­ten. Auch Julija Tymo­schenko, die sich im Kampf um das Prä­si­den­ten­amt noch Hoff­nun­gen auf ein come back machen konnte, wird mit ihren 8 Prozent poli­ti­sche Geschichte sein. Dabei hatten ihre Par­la­men­ta­rier sich schon in einer Koali­tion mit Selen­skyj gesehen.

Bleibt neben dem Schau­spie­ler Selen­skyj der Rock­sän­ger Swja­to­s­law Wakart­schuk. Auch er steht für etwas Unver­brauch­tes, zugleich aber auch für ein gerüt­telt Maß an Uner­fah­ren­heit. Man hatte erwar­tet, dass er den „Euro­op­ti­mis­ten“ – der ersten Gene­ra­tion von Maidan-Abge­ord­ne­ten im Par­la­ment-  eine poli­ti­sche Heimat geben würde. Aber er ent­schied sich für das Modell „alles neu“ und bediente damit den Antiestab­lish­men­tim­puls im Volk. Nur: Auf diesem Feld war ein Selen­skyj unschlag­bar. Es blieben 6,5 % für Wakartschuk.

Eine große Über­ra­schung ist der Blick auf die Regio­nen. Nicht im Osten, im Donbas, haben die pro­rus­si­schen Par­teien viel Zuspruch erfah­ren, sondern vor allem im Süden. Das muss einer neuen Regie­rung Selen­skyj zu denken geben.

Darf man in Deutsch­land, wo so viele Stimmen vor dem Rechten Block, den Anti­se­mi­ten und Faschis­ten in der Ukraine warnten, noch knapp 2,2 Prozent ent­ge­gen­hal­ten, die die ultra­rechte Partei Swoboda ein­fah­ren konnte? In Sachsen wären wir über solche beschei­de­nen Ergeb­nisse der AfD erleich­tert. Es wird Zeit, die Kreml-Legende vom „faschis­ti­schen Putsch in der Ukraine“ zu begraben.

Was bleibt? Wir werden uns gedul­den müssen. Die Frage „Wer ist Selen­skyj?“ wird nun ergänzt um die Frage „Wer sitzt in der neuen Rada?“. Aber der Vorhang wird sich lüften. Wird tat­säch­lich ein unver­brauch­ter Refor­mer Minis­ter­prä­si­dent, wie von Selen­skyj ange­kün­digt? Wer wird Gene­ral­staats­an­walt? Welche Spiel­räume bekommt die Anti­kor­rup­ti­ons­be­hörde NABU? Was wird aus dem Ringen um Kolo­mois­kys „Pri­vat­bank“?

Und: wird die ange­kün­digte Auf­he­bung der Immu­ni­tät der Abge­ord­ne­ten ein fatales Droh­in­stru­ment gegen die poli­ti­schen Gegner des Prä­si­den­ten oder wird der Kor­rup­tion im Par­la­ment damit der Kampf angesagt?

Es bleibt span­nend in der Ukraine. Die „Diener des Volkes“ können begin­nen zu dienen. Hoffen wir, dass sie nur Gutes im Schilde führen. Die EU hat es in der Hand, Selen­skyj bei den ange­kün­dig­ten Refor­men zu unter­stüt­zen, poli­tisch wie finan­zi­ell. Europa hat jedes Inter­esse an einer demo­kra­ti­schen und wirt­schaft­lich erfolg­rei­chen Ukraine.

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